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Im Gespräch mit Prof. Rolf Sandell

Psychoanalyse und Universität in Schweden

Im Rahmen der Joseph Sandler Psychoanalytic Research Conference 2013 der Deutschen Psychoanalytischen Vereinigung in Frankfurt am Main hatten wir die Gelegenheit, ein Interview mit Prof. Rolf Sandell aus Schweden zu führen. Herr Sandell (Jahrgang 1938) ist emerierter Professor für Klinische Psychologie an der Universität Lund, Psychoanalytiker und langjähriges Mitglied der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung (IPA).

IDPAU: Hal­lo Prof. San­dell, vie­len Dank, dass Sie sich im Rah­men der Sand­ler-Kon­fe­renz für die­ses Inter­view bereit erklärt haben. Sie sind Psy­cho­ana­ly­ti­ker und Pro­fes­sor für kli­ni­sche Psy­cho­lo­gie. Wie sehen Sie den all­ge­mei­nen Stel­len­wert der Psy­cho­ana­ly­se im Lehr­plan eines Psychologiestudenten?

Rolf San­dell: In Schwe­den gibt es fünf oder sechs Uni­ver­si­tä­ten, die eine Aus­bil­dung zum Psy­cho­lo­gen ermög­li­chen. Dies beinhal­tet ein fünfjähriges Stu­di­um inklu­si­ve eines Prak­ti­kums und anschlie­ßen­dem prak­ti­schen Jahr. Es gibt jedoch kei­ne spe­zi­ell psy­cho­ana­ly­ti­schen Kur­se. Ledig­lich eini­ge weni­ge Kur­se in psy­cho­dy­na­mi­scher Psy­cho­the­ra­pie. Jedoch ste­hen die meis­ten schwe­di­schen Psy­cho­lo­gie­stu­den­ten der klas­si­schen Psy­cho­ana­ly­se skep­tisch gegenüber. Sie betrach­ten sie als alt­ba­cken, out-of-date, ande­rer­seits zei­gen Vie­le Inter­es­se an The­men wie der Affekt­fo­kus­sier­ten Psy­cho­the­ra­pie oder an Men­ta­li­sie­rungs­theo­rien. Die meis­ten der Leh­ren­den an den Psy­cho­lo­gi­schen Fach­be­rei­chen haben sicher schon etwas über Psy­cho­ana­ly­se gele­sen, inter­pre­tie­ren sie aber falsch oder sim­pli­fi­ziert. Leh­ren­de, die auch Psy­cho­ana­ly­ti­ker sind, gibt es nur an den Uni­ver­si­tä­ten in Stock­holm, Upp­sa­la und Lund. An man­chen Uni­ver­si­tä­ten müssen sich die Stu­den­ten im sieb­ten Semes­ter für eine der The­ra­pie­schu­len ent­schei­den, das heißt ent­we­der Kogni­ti­ve Ver­hal­tens­the­ra­pie (CBT) oder eben Psy­cho­dy­na­mi­sche Psy­cho­the­ra­pie (PDT). Die­se Wahl eig­net sich auch als ein gutes Maß für das Inter­es­se an der Psy­cho­ana­ly­se. Ich ken­ne dies so von Stock­holm, und für vie­le jah­re gab es dort eine überwiegende Anzahl, die sich für CBT ent­schie­den haben. 

Der Tief­punkt war dann wäh­rend einem Semes­ter erreicht, indem sich nur ein Stu­dent für die PDT ein­schrieb. In den letz­ten Jah­ren wird es jedoch zuneh­mend aus­ba­lan­cier­ter und ich hat­te gehört, dass es im letz­ten Semes­ter mehr Stu­den­ten im PDT- als im CBT-Kurs gab. Ein Grund jedoch, war­um sich so vie­le ange­hen­de Psy­cho­lo­gen für die Ver­hal­tens­the­ra­pie ent­schei­den, sind die anschlie­ßen­den Aus­sich­ten auf dem Arbeits­markt. In ent­spre­chen­den Stel­len­an­zei­gen wer­den zumeist ver­hal­tens­the­ra­peu­ti­sche Kennt­nis­se verlangt.

Also, der Stel­len­wert der Psy­cho­ana­ly­se an schwe­di­schen Uni­ver­si­tä­ten ist sehr gering und die Pro­gno­se ist nicht sehr gut. Die Schwe­di­sche Psy­cho­ana­ly­ti­sche Ver­ei­ni­gung bie­tet zwar auch Öffent­li­che Vor­trä­ge an, da kom­men aber viel­leicht nur fünf oder sechs Stu­den­ten. Ich glau­be, das von mir gezeich­ne­te Bild ist schon etwas pessimistisch.

Einer der Umstän­de, der den Ruf der Psy­cho­ana­ly­se beschä­digt hat, ist, dass wir zu impres­sio­nis­tisch, zu unsys­te­ma­tisch waren – too much tel­ling stories.

In Deutsch­land sind etwa die Hälf­te der von den Gesetz­li­chen Kran­ken­kas­sen gedeck­ten Psy­cho­the­ra­pien psy­cho­ana­ly­tisch /psychodynamisch. Gleich­zei­tig wer­den fast alle der Lehrstühle für Kli­ni­sche Psy­cho­lo­gie von Ver­hal­tens­the­ra­peu­ten besetzt. Was den­ken sie darüber?

Das glei­che gilt für die Lehrstühle in Schwe­den. Ich glau­be, ich bin der ein­zi­ge Pro­fes­sor in Kli­ni­scher Psy­cho­lo­gie, der auch aus­ge­bil­de­ter Psy­cho­ana­ly­ti­ker ist, den es je in Schwe­den gab. Es hiel­ten schon­mal Psy­cho­ana­ly­ti­ker Lehrstühle für Psych­ia­trie inne, das gibt es heu­te aber auch nicht mehr. Ich glau­be, die Erklä­rung dafür ist ein­fach, denn Psy­cho­ana­ly­ti­ker gehen ein­fach nicht den For­schungs­rich­tun­gen nach, die in der Aka­de­mie geschätzt wer­den. Die Kogni­tiv-Beha­vi­ora­le Schu­le hin­ge­gen ist im For­schungs­be­reich wesent­lich akti­ver. Neun von Zehn Stu­di­en zur Psy­cho­the­ra­pie sind CBT-geprägt, zumin­dest was out­co­me-Stu­di­en angeht. Das heißt, Ver­hal­tens­the­ra­peu­ten sind for­mal qua­li­fi­zier­ter. Kol­le­gen aus den USA erzähl­ten mir sogar, man sol­le mög­lichst sei­ne psy­cho­ana­ly­ti­sche Aus­bil­dung ver­schwei­gen, wenn man sich für gewis­se Posi­tio­nen bewirbt.

Aus mei­ner Erfah­rung als Stu­dent der­sel­ben ist die aka­de­mi­sche Psy­cho­lo­gie stark posi­ti­vis­tisch geprägt. Den­ken Sie, das kön­ne sich in der Zukunft ändern?

Nein. Mir fällt es schwer sich das vor­zu­stel­len. In Euro­pa – viel­leicht ein­mal aus­ge­nom­men Frank­reich und Spa­ni­en – ste­hen wir unter einem so star­ken Ein­fluss der USA. Natürlich gibt es auch dort eher in phä­no­me­no­lo­gi­scher Rich­tung Arbei­ten­de, aber der überwiegende Teil ist posi­ti­vis­tisch geprägt. In Südamerika ist es dage­gen ganz anders. Ich habe zehn Jah­re lang in Lon­don beim rese­arch trai­ning der Inter­na­tio­nal Psy­cho­ana­ly­ti­cal Asso­cia­ti­on mit­ge­wirkt. Dort haben wir mit For­schern aus der gan­zen Welt gear­bei­tet, und wenn ich den­je­ni­gen aus Südamerika zuhör­te, bemerk­te ich, dass sie einen ganz ande­ren Dis­kurs pfle­gen. Sie spre­chen eine ande­re Spra­che, jeden­falls kei­ne posi­ti­vis­ti­sche. Wir haben Pro­ble­me sie zu ver­ste­hen und umge­kehrt, wie bei zwei ver­schie­de­nen Sprachen. 

Ich den­ke jedoch ein mode­ra­ter Posi­ti­vis­mus ist etwas gutes. Einer der Umstän­de, der den Ruf der Psy­cho­ana­ly­se beschä­digt hat, ist, dass wir zu impres­sio­nis­tisch, zu unsys­te­ma­tisch waren – too much tel­ling sto­ries. Ich würde emp­feh­len, dass die Psy­cho­ana­ly­se ver­sucht, mehr sys­te­ma­tisch und etwas mehr posi­ti­vis­tisch zu wer­den. Denn dies ist die ein­zi­ge Mög­lich­keit, wie­der eine gute Repu­ta­ti­on in der wis­sen­schaft­li­chen Welt zu bekom­men – doch so pas­siert es ja gera­de auch.

Ja, wie wir ja auch hier auf der Kon­fe­renz darüber gespro­chen haben.

Ja, es wird sich viel­leicht ein­mal ändern, aber nicht mehr wäh­rend mei­nes Lebens und viel­leicht auch nicht mehr wäh­rend Ihres Lebens.

Die IDPAU e.V. ringt dar­um, die Psy­cho­ana­ly­se wie­der in die Lehr­plä­ne der Uni­ver­si­tä­ten zu brin­gen. Haben Sie da für uns einen Rat?

Als die „evi­denz­ba­sier­te Bewe­gung“ wie­der und wie­der nach­wies, dass es nur sehr weni­ge Stu­di­en gibt, die evi­denz­ba­siert für die Psy­cho­ana­ly­se spre­chen, kam es mei­nem Emp­fin­den nach in Schwe­den unter den Psy­cho­ana­ly­ti­kern zu Gefühlen der Unsi­cher­heit und als Kon­se­quenz dar­aus folg­te, dass die Betrof­fe­nen sich inein­an­der verknüllten, um sich gegen die Außen­welt zu ver­tei­di­gen und sich gegen­ein­an­der zu stützen. Vor 25 Jah­ren sah das anders aus, da hat­ten die Psy­cho­ana­ly­ti­ker einen guten Ruf. Sie arbei­te­ten in allen Arten von Kran­ken­häu­sern und taten neben­bei noch extra­kli­ni­sche Arbeit. Heut­zu­ta­ge sit­zen jedoch die meis­ten von ihnen ihn ihren Pra­xen und behan­deln ihre weni­gen Pati­en­ten. Ich kann sagen, in Schwe­den zie­hen sich die meis­ten in ihre Pra­xen zurück – anstatt nach außen in die Öffent­lich­keit zu treten. 

Aber ihre Fra­ge han­del­te von einem Rat. Ich würde ver­su­chen, an Pro­fes­so­ren der Psy­cho­lo­gie her­an­zu­tre­ten, die ihren Stu­den­ten dann eine Auf­ga­be stel­len. Und zwar in Grup­pen von zwei bis drei Stu­die­ren­den einen Psy­cho­ana­ly­ti­ker zu kon­sul­tie­ren und mit ihm ein Inter­view zu führen, um zu erfah­ren, was Psy­cho­ana­ly­se wirk­lich ist. Die Auf­ga­be bestünde dann neben dem Inter­view in der Anfer­ti­gung eines zehn­sei­ti­gen Berichts. Viel­leicht möch­ten nur weni­ge Psy­cho­ana­ly­ti­ker vor eine gan­ze Klas­se tre­ten, gegen einen Besuch von zwei, drei Stu­den­ten wird jedoch wohl kei­ner etwas ein­zu­wen­den haben. Der Sinn die­ser Sache bestünde dar­in, dass sich einer­seits die Stu­den­ten mit der Psy­cho­ana­ly­se aus­ein­an­der­set­zen und ande­rer­seits, dass die Psy­cho­ana­ly­ti­ker sich einer gewis­sen Öffent­lich­keit stel­len müssten.

Prof. San­del­ls Stu­di­en auf Rese­arch­ga­te