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Die Kunst moralisch-gerecht zu sein

Vor kurzer Zeit kursierte die Forderung eines verpflichtenden sozialen Jahres für Rentner mit 15 Arbeitsstunden die Woche des Philosophen Dr. Richard David Precht. Die Menschen würden mit der Erfüllung dieser Forderung ihrer sozialen Verpflichtung hinsichtlich des demographischen Wandels, also der Strukturveränderung der Altersschichten in der Gesellschaft, nachkommen. Der zentrale Punkt dieser Erwartungshaltung scheint die Definition des Begriffes von Gerechtigkeit zu sein. Zunächst wollen wir unsere aktuelle gesellschaftliche Situation mit dem Fairness-Begriff untersuchen und anschließend den Fokus auf die problematische Situation zwischen Psychologie und Psychoanalyse an der Hochschule legen.

Vor kur­zer Zeit kur­sier­te die For­de­rung eines ver­pflich­ten­den sozia­len Jah­res für Rent­ner mit 15 Arbeits­stun­den die Woche des Phi­lo­so­phen Dr. Richard David Precht. Die Men­schen wür­den mit der Erfül­lung die­ser For­de­rung ihrer sozia­len Ver­pflich­tung hin­sicht­lich des demo­gra­phi­schen Wan­dels, also der Struk­tur­ver­än­de­rung der Alters­schich­ten in der Gesell­schaft, nachkommen.
Der zen­tra­le Punkt die­ser Erwar­tungs­hal­tung scheint die Defi­ni­ti­on des Begrif­fes von Gerech­tig­keit zu sein. Zunächst wol­len wir unse­re aktu­el­le gesell­schaft­li­che Situa­ti­on mit dem Fair­ness-Begriff unter­su­chen und anschlie­ßend den Fokus auf die pro­ble­ma­ti­sche Situa­ti­on zwi­schen Psy­cho­lo­gie und Psy­cho­ana­ly­se an der Hoch­schu­le legen.

Wenn wir an die­ser Stel­le die For­de­rung von Richard David Precht noch ein­mal auf­grei­fen, sei das Arbei­ten des Rent­ners im Sin­ne einer aus­glei­chen­den Rezi­pro­zi­tät bezüg­lich sozia­ler Gerech­tig­keit zu sehen, denn wenn die Früch­te der gesell­schaft­li­chen Zusam­men­ar­beit ver­teilt wer­den, muss der Rent­ner das Recht auf die Ren­te erhal­ten. Sei­ne Pflicht, auch auf­grund des demo­gra­fi­schen Wan­dels der Gesell­schaft, wei­ter­hin sozia­le Unter­stüt­zung zu lie­fern endet aber mit dem Erhalt der Ren­te nicht. Folg­lich han­delt es sich um eine Gerech­tig­keit im Sin­ne der Moral. Wir nen­nen dies Moral-Gerech­tig­keit. Um zu pos­tu­lie­ren inwie­weit sich unse­re Gesell­schaft ändern muss, um mora­lisch-gerecht zu wer­den, müs­sen wir zuerst Aspekt-ori­en­tiert den der­zei­ti­gen Stand der Gesell­schaft veranschaulichen.

Das Bild der Moral stellt sich eben nicht im Inter­es­se des All­ge­mein­wohls, son­dern im Inter­es­se der ange­hö­ri­gen Sub­grup­pe dar. Vor allem durch die ver­schie­de­nen Ange­bo­te der Medi­en wird die aktu­el­le mora­li­sche Ein­stel­lung gespie­gelt, denn über Ein­schalt­quo­ten kann das Inter­es­se für bestimm­te Sen­dun­gen gemes­sen wer­den und dar­an lässt sich wie­der­um die mora­li­sche Ein­stel­lung able­sen, wenn wir davon aus­ge­hen, dass Inter­es­se und mora­li­sche Ein­stel­lung gleich­zu­set­zen sind. Die Mas­se wird durch Sen­dun­gen bewegt, die vor allem durch Abwer­ten eines Objekts und eige­nes nar­zis­ti­sches Auf­wer­ten gekenn­zeich­net sind.

Offen­sicht­lich exis­tiert ein drei­di­men­sio­na­ler Ansatz. Die ers­te Dimen­si­on des Ansat­zes stellt einen vor­der­grün­di­gen dar, bei dem ganz offen­sicht­lich abge­wer­tet wird. Unter der zwei­ten Dimen­si­on ver­ste­hen wir sol­che Sen­dun­gen, wel­che die ver­zerr­te Wahr­neh­mung und den dar­aus fol­gen­den öffent­li­chen Auf­tritt von Mit­bür­gern als Anlass für ihren Humor neh­men. Die Gip­fe­lung die­ses Ansat­zes besteht in der Abwer­tung der gesam­ten Per­sön­lich­keit. Die Sozi­al­psy­cho­lo­gie lehrt uns, dass Men­schen dazu nei­gen, ihre Erfah­run­gen in ihrem Selbst als kohä­rent zu spei­chern. Folg­lich ist es wahr­schein­lich, dass Men­schen, wenn sie Sen­dun­gen sehen, in denen ganz offen­sicht­lich ein Objekt abge­wer­tet wird, – wenn es sich hier­bei n.i.c.h.t um eine Insze­nie­rung eines Thea­ter­ak­tes han­delt – sie es der Sen­dung gleich tun, also ande­ren Objek­ten auch abwer­ten­de Ten­den­zen zu spü­ren geben und sich selbst damit erhe­ben, um Kohä­renz zu erzeugen.

Was wir beruf­lich tun, was wir pri­vat tun, wirkt sich auf unse­re Per­sön­lich­keit aus. Men­schen bewer­ten auf Grund ihrer Fähig­keit sich ihres Ver­stan­des zu bedie­nen. Wenn sie wer­ten, dann ent­schei­den sie sich, ob sie sich damit iden­ti­fi­zie­ren oder nicht. Falls sie Sen­dun­gen, in denen abge­wer­tet wird schau­en, müs­sen sie sich dem­nach so weit iden­ti­fi­zie­ren, dass es ihnen über­haupt mög­lich ist, dies anzu­se­hen. Es meint uns als müss­te ein Iden­ti­fi­ka­ti­ons­schwel­len­wert erreicht wer­den, um die Zuschau­er adäquat zu rei­zen und ihnen somit ein Stück ihres Selbst wider­zu­spie­geln. Des­we­gen impli­ziert jenes, dass die Wahr­schein­lich­keit einer Imi­ta­ti­on besteht.

Der Aspekt des sub­jek­ti­ven Ver­ständ­nis­ses von Moral spie­gelt sich aber nicht nur in der Mas­se, son­dern auch im Ver­hal­ten ein­zel­ner wie­der. Die Gut­ten­berg-Affai­re zeigt, dass es Men­schen gibt, die sich trotz gericht­li­cher Fest­stel­lung einer Straf­tat nicht mit dem Fehl­ver­hal­ten iden­ti­fi­zie­ren. Sie schie­ben die Schuld auf Umstän­de und wer­den vom Sys­tem belohnt, durch den Erhalt einer Bera­ter­stel­le bei der EU-Kom­mis­si­on. Anhand der Tat­sa­che, wie die Gesell­schaft auf die mora­li­schen Fehl­trit­te des Ein­zel­nen reagiert und die Mas­se mit unmo­ra­li­schem Medi­en­kon­sum kon­di­tio­niert, kön­nen wir fest­stel­len, dass die­se sich für uns als unge­recht dar­stel­len­den Moral­ein­stel­lun­gen, bis ins Mark des Sys­tems rei­chen. Das Sys­tem, also die gesam­te Struk­tur der Wirt­schaft, Poli­tik und Bil­dung, ist in rigi­den Mus­tern ver­wur­zelt. Anhand die­ser Dar­stel­lung lässt sich fest­stel­len, dass unse­re Gesell­schaft alles ande­re als mora­lisch-gerecht ist.

Die Kunst mora­lisch-gerecht zu sein wird auch, auf­grund der Anfor­de­rung der adäqua­ten Erfül­lung empi­ri­scher Wis­sen­schaft, an unse­ren deut­schen Hoch­schu­len ver­nach­läs­sigt. Die The­ma­tik, die wir hier im Auge haben, betrifft das Ver­hält­nis zwi­schen der Psy­cho­lo­gie und der Psy­cho­ana­ly­se. Psy­cho­ana­ly­se ver­steht sich als eine her­me­neu­ti­sche Metho­de, im Gegen­satz zur Psy­cho­lo­gie, die sich als Natur­wis­sen­schaft beti­telt und damit sta­tis­ti­sche Unter­su­chungs­me­tho­den verwendet.
Psy­cho­ana­ly­se wird von der Psy­cho­lo­gie getrennt und damit hat sie so gut wie kei­nen Stel­len­wert an der deut­schen Hoch­schu­le. Dies liegt wohl vor allem dar­an, dass die Psy­cho­ana­ly­se im pri­va­ten Wie­ner Kreis um Sig­mund Freud, als Gali­ons­fi­gur, ent­wi­ckelt wur­de und den Weg an die Hoch­schu­le vor­erst nicht zu errei­chen gedach­te. Joa­chim Küchen­hoff erklärt die Son­der­stel­lung der Psy­cho­ana­ly­se zusätz­lich auf einer ande­ren Ebe­ne, dass sie nicht nur des­halb schlecht ver­tre­ten wäre, weil sie sich „ver­lau­fen“ habe, son­dern vor allem, weil ihr der „Weg auch abge­schnit­ten“ oder falls sie schon da ist, bei­spiels­wei­se in der Uni­ver­si­tät in Frank­furt, das „Was­ser abge­gra­ben“ ist, da es dort Psy­cho­ana­ly­se nur als Neben­fach, als alter­na­ti­ve Ergän­zung zur Psy­cho­lo­gie gibt.
Als Sig­mund Freud 1919 das Fazit zog „Die eigent­li­che Psy­cho­ana­ly­se als Metho­de kön­nen Stu­den­ten an der Uni­ver­si­tät nicht ler­nen“ hat­te er damit sicher­lich Recht, jedoch wird man an der Uni­ver­si­tät eben­falls nicht zum Ver­hal­tens­the­ra­peu­ten aus­ge­bil­det, was impli­ziert, dass alle ver­füg­ba­ren theo­re­ti­schen Kon­struk­te lern­bar sein müs­sen. Psy­cho­lo­gie darf nicht gleich­ge­setzt wer­den mit den empi­ri­schen Ver­hal­tens­wis­sen­schaf­ten, wenn Sta­tis­tik gelehrt wird, soll­ten somit zu glei­chen Tei­len Modu­le der Her­me­neu­tik ange­bo­ten wer­den. Doch von einer gleich­ver­teil­ten Fächer­ori­en­tie­rung im Modul­plan sind wir an deut­schen Hoch­schu­len weit ent­fernt. Im Gegen­teil ist es kei­ne Sel­ten­heit, dass von der Psy­cho­ana­ly­se durch Dozen­ten abge­ra­ten wird, die die aner­kann­te The­ra­pie­me­tho­de in ihrem Sein nicht akzeptieren.

„ Was wir uns nicht erflie­gen kön­nen, das müs­sen wir uns erhinken“
So zitier­te Sig­mund Freud den Dich­ter Rück­ert. Die­ser Spruch macht uns deut­lich, dass Din­ge, die schwer fal­len, trotz­dem erreich­bar sind. Wirft man einen Blick auf die uni­ver­si­tä­re Hoch­schul­land­schaft, so zeigt sich, dass die­ser Spruch auf die ana­ly­tisch inter­es­sier­ten Stu­den­ten zutrifft, denn die Psy­cho­ana­ly­se muss man sich erhinken.

Auch Joa­chim Küchen­hoff greift die­sen Aspekt auf, indem er schreibt „Psy­cho­ana­ly­ti­ker zu sein, wird auch im 21 Jahr­hun­dert eine Tätig­keit blei­ben, die in viel­fäl­ti­ger Hin­sicht auch „Jen­seits des Lust­prin­zips“ steht“. Wenn wir also die Psy­cho­ana­ly­se zurück an die Hoch­schu­le for­dern unter­liegt das dem Motiv der Gerech­tig­keit. Hier­bei besin­nen wir uns auch auf Kant, der sag­te „Wenn die Gerech­tig­keit unter­geht, hat es kei­nen Wert mehr, dass Men­schen auf Erden leben.“ Wenn wir Kants Aus­sa­ge auf die Hoch­schul­land­schaft anwen­den, wür­de das bedeu­ten, dass wir bei so viel bestehen­der Unge­rech­tig­keit unse­ren Wert auf Erden ver­lie­ren. Um die Dis­kus­si­on, ob die Psy­cho­ana­ly­se an die Hoch­schu­le soll­te oder nicht, ord­net sich zir­ku­lär die Fra­ge der Wis­sen­schaft­lich­keit der Psy­cho­ana­ly­se. Dabei wäre es nur gerecht der Psy­cho­ana­ly­se einen Stel­len­wert zu geben, denn um das Pro­blem der Unwis­sen­schaft­lich­keit adäquat zu lösen, braucht sie doch genau die­se Unter­stüt­zung und die Sub­ven­tio­nen des Systems.

Wenn Psy­cho­ana­ly­se als unwis­sen­schaft­lich titu­liert wird, ist es wich­tig, dass erkannt wird, dass dies ledig­lich aus der Per­spek­ti­ve der Natur­wis­sen­schaf­ten zu sehen ist. Mit­scher­lich, ein berühm­ter Ana­ly­ti­ker, kon­kre­ti­sier­te zu Leb­zei­ten „Die Ver­hal­tens­for­scher sim­pli­fi­zie­ren die Wis­sen­schaft, indem sie behaup­ten, nur das habe Anspruch, als wis­sen­schaft­lich aner­kannt zu wer­den, was zähl­bar, meß­bar und expe­ri­men­tell wie­der­hol­bar ist. Daß man auch Gezähl­tes und Gemes­se­nes ver­ste­hen kön­nen muß, mögen man­che von ihnen nicht ein­se­hen.“ Wei­ter pos­tu­lier­te Mit­scher­lich, dass die „Prä­mis­se der Human­wis­sen­schaf­ten“ eben sei, dass der Mensch „nicht auf­geht wie eine mess­ba­re Glei­chung“. So stim­men wir doch alle über­ein, dass kogni­ti­ve Pro­zes­se eben nur begrenzt mess­bar sind und auch Hera­klit war sich des­sen Bedeu­tung bereits vor über 2500 Jah­ren bewusst, als er schrieb „Der See­le Gren­zen kannst du nicht aus­fin­dig machen, wenn Du auch alle Wege absuch­test; so tief­grün­dig ist ihr Wesen“ Die­ses Zitat von Hera­klit gilt nach Mit­scher­lich auch für die „zwei Psy­cho­lo­gien“ , die Posi­ti­vis­ti­sche und die Her­me­neu­ti­sche. Zum Teil schlie­ßen sie ein­an­der aus, aber zum Teil kön­nen sie ein­an­der auch ergän­zen. Eine ein­heit­li­che Psy­cho­lo­gie wird es sei­ner Auf­fas­sung nach nicht geben, weil die Art des For­schens und Fra­gens sowie die wis­sen­schaft­li­chen Zie­le bei­der Psy­cho­lo­gien so weit ent­fernt lie­gen. Der Psy­cho­ana­ly­ti­ker Mül­ler-Poz­zi greift die­se The­ma­tik im Hin­blick auf das dif­fe­ren­zier­te Wis­sen­schafts­ver­ständ­nis auf: „Die Psy­cho­ana­ly­se kann nie bean­spru­chen, empi­ri­sche Wis­sen­schaft im Sin­ne der kon­trol­lier­ba­ren, posi­ti­ven Ver­hal­tens­wis­sen­schaft zu sein.
Ob man der Psy­cho­ana­ly­se den Sta­tus einer Wis­sen­schaft zubil­ligt oder nicht, hängt vom Wis­sen­schafts­ver­ständ­nis ab, das man einer Erkennt­nis­theo­rie zugrun­de legt.“ Nach unse­rem Ver­ständ­nis hat das Aner­ken­nen der Psy­cho­ana­ly­se aller­dings nichts mit dem Wis­sen­schafts­ver­ständ­nis auf ver­schie­de­nen Ebe­nen zu tun. Psy­cho­ana­ly­se darf weder in eine eso­te­ri­sche Ecke gescho­ben wer­den oder nur anhand sub­jek­tiv emp­fun­de­ner psy­cho­ana­ly­ti­scher Wahr­neh­mung nach­voll­zo­gen wer­den, noch soll sie mit der empi­ri­schen Natur­wis­sen­schaft gleich gesetzt wer­den; wie Kri­ti­ker bei­spiels­wei­se Grün­baum es taten.
Die Psy­cho­ana­ly­se soll sich ihr „anders sein“, auf wel­ches Mül­ler-Poz­zi, wie wir mei­nen, anspielt, erhal­ten, sich aber auf ihre Wei­se wis­sen­schaft­lich wei­ter bil­den. Dass sie das tut, steht ohne Zwei­fel fest, denn sie bedient sich eines eige­nen dia­gnos­ti­schen Sys­tems (OPD). Des Wei­te­ren lässt sich die the­ra­peu­ti­sche Arbeit extern mit empi­ri­scher Wis­sen­schaft überprüfen.

Es ist außer­dem wich­tig hier zu unter­schei­den zwi­schen dem psy­cho­ana­ly­ti­schen Theo­rie­ge­bil­de und der psy­cho­ana­ly­tisch-the­ra­peu­ti­schen Situa­ti­on. Die the­ra­peu­ti­sche Situa­ti­on ist eine pri­va­te. Es ent­steht eine ana­ly­ti­sche Situa­ti­on in der, wie Kohut behaup­tet, ein drit­ter nicht dazu­ge­hört. Er ver­gleicht die ana­ly­ti­sche Situa­ti­on mit der sexu­el­len Lie­be, denn die Gegen­wart eines Drit­ten führt ent­we­der zur „Ver­fla­chung der Gefüh­le“ oder zur „Pri­mi­ti­vi­sie­rung“.

In Sin­ne der Nach­voll­zieh­bar­keit ist auch die Aner­ken­nung der Wei­ter­ent­wick­lung der Ana­ly­se zu beach­ten. Wenn Küchen­hoff schreibt „Sie kann ver­lan­gen, dass auch sie an ihrer kom­ple­xen Zeit­ge­nös­si­schen Theo­rie­bil­dung und Empi­rie gemes­sen wird. Häu­fig wird sie auf einem Niveau kri­ti­siert, der weit von ihrem eige­nen Ent­wick­lungs­stand ent­fernt ist.“ greift er ein all­täg­li­ches Phä­no­men an deut­schen Hoch­schu­len auf. Psy­cho­ana­ly­se wie sie zur Ent­ste­hungs­zeit war, wird gleich­ge­setzt mit ver­hal­tens­the­ra­peu­ti­schen Ver­fah­ren im Hier und Jetzt. Das nach dem Wie­ner Juden Sig­mund Freud und sei­ner Grün­dungs­zeit enor­me Fort­schrit­te voll­zo­gen wur­den, dass es Objekt­be­zie­hungs­theo­rien und die Selbst­psy­cho­lo­gie gab, davon hört man im Psy­cho­lo­gie Stu­di­um eher wenig. Wenn die Psy­cho­ana­ly­se kri­ti­siert wird, dann wird sie an der Per­son Sig­mund Freud kri­ti­siert, dann wird sich an Begrif­fen auf­ge­schau­kelt, die jedoch aus dem Kon­text der Ent­ste­hungs­zeit zu kri­ti­sie­ren sind. Abge­se­hen von der Tat­sa­che, dass Freud natür­lich vor dem Hin­ter­grund der Ent­ste­hungs­zeit inter­pre­tiert wer­den soll­te scheint es, wenn man sich mit Freuds tex­ten aus­ein­an­der setzt, wie Mit­scher­lich meint „absurd allein schon von der Spra­che her, Freud Irra­tio­na­li­tät zu unter­stel­len und damit kri­ti­schen wis­sen­schaft­li­chen Geist abzu­spre­chen.“ Alles in allem herrscht ein zer­rüt­te­tes Ver­hält­nis zwi­schen der Psy­cho­ana­ly­se und der Psy­cho­lo­gie. Kut­ter greift die Mög­lich­keit der Ursa­che für das zer­rüt­te­te Ver­hält­nis auf: „Die Psy­cho­lo­gie über­run­det die Psy­cho­ana­ly­se in For­schung und Publi­ka­ti­on schon in der Zahl der Ver­öf­fent­li­chun­gen. In namen­haf­ten Fach­zeit­schrif­ten gerät die Psy­cho­ana­ly­se gegen­über der Psy­cho­lo­gie ins Hin­ter­tref­fen. Sie betreibt rela­tiv wenig For­schung.“ Die­se Kri­tik führt uns wie­der zu dem Punkt, dass die Hoch­schul­po­li­tik es der Psy­cho­ana­ly­se ermög­li­chen muss, sich an der Hoch­schu­le zu eta­blie­ren, denn ein wis­sen­schaft­li­ches Stand­bein baut man auch an einem wis­sen­schaft­li­chen Ort auf. Küchen­hoff hat genau dies gefor­dert. Es sei not­wen­dig, dass die Psy­cho­ana­ly­se eine wis­sen­schaft­li­che Hei­mat habe. Wer for­schen will, brau­che Geld und Zeit dafür, einen ver­brief­ten Frei­raum und die Aner­ken­nung der eige­nen Fra­ge­stel­lung durch die sci­en­ti­fic com­mu­ni­ty. Ohne die­se Rah­men­be­din­gun­gen kön­ne sich eine Wis­sen­schaft nicht ent­wi­ckeln. Der bestehen­de „Gegen­satz: Posi­ti­vis­mus gegen Her­me­neu­tik“ wie ihn Mit­scher­lich beton­te, ermög­licht kei­ne ein­heit­li­che Psy­cho­lo­gie, weil die „Art des For­schens und Fra­gens sowie die wis­sen­schaft­li­chen Zie­le bei­der Psy­cho­lo­gien so weit aus­ein­an­der lie­gen“. Gera­de weil zwei Psy­cho­lo­gien exis­tie­ren, muss die Psy­cho­ana­ly­se an der Uni­ver­si­tät eta­bliert wer­den. Kohut sieht das Pro­blem der psy­cho­ana­ly­ti­schen Eta­blie­rung an der Uni­ver­si­tät eben­falls ganz deut­lich. Er schrieb „in der Ent­ste­hungs­zeit war die größ­te Gefahr, der die Ana­ly­se aus­ge­setzt war, der Man­gel an wis­sen­schaft­li­cher Dis­zi­pli­niert­heit: Bereits Freud warn­te vor der „wil­den Ana­ly­se“. Obwohl die Ana­ly­se sich bald eines hun­dert­jäh­ri­gen Bestehens wird rüh­men kön­nen, ist die­se Gefahr noch immer nicht vor­über.“ Er pro­phe­zeit der Ana­ly­se eine „gro­ße Zukunft“ , beti­telt sie als (…) eine Wis­sen­schaft (…), die eigent­lich noch in den Kin­der­schu­hen ste­cke. Außer­dem dia­gnos­ti­ziert er ihr eine vor­zei­ti­ge Seni­li­tät, eine „Seni­li­tät der Kind­heit“. Was die Psy­cho­ana­ly­se sei­ner Mei­nung nach braucht, sind „muti­ge Ana­ly­ti­ker, jun­ge, schöp­fe­ri­sche Geis­ter, die das wesent­li­che der Ana­ly­se ver­stan­den haben und nicht im For­mell-tra­di­tio­nel­len ste­cken­ge­blie­ben sind“.
Immer weni­ger der jun­gen Ana­ly­ti­ker betre­ten den öffent­li­chen Raum des Sys­tems. Ehr­gei­zig moti­vier­te Ver­tre­ter müs­sen es ermög­li­chen wol­len, der Ana­ly­se auch an staat­li­chen Hoch­schu­len Gehör zu ver­schaf­fen, um Stu­den­ten die Frei­heit zu geben zwi­schen den bei­den Gegen­sät­zen Posi­ti­vis­mus und Her­me­neu­tik sich dem Gebil­de anzu­neh­men, wel­ches sie inter­es­siert und eine Iden­ti­fi­ka­ti­on ermög­licht. Ohne Ver­tre­ter ver­schie­de­ner Theo­rien wird den Stu­den­ten die­se Frei­heit geraubt. Die­se Pro­ble­ma­tik des feh­len­den Enthu­si­as­mus the­ma­ti­siert auch Kohut, indem er pos­tu­liert: „Ohne die Fähig­keit enthu­si­as­tisch zu sein, ist man im Welt­ge­trie­be ver­lo­ren. Man muß in der Tie­fe der See­le reagie­ren kön­nen, wenn man sich im sozia­len Getrie­be erhal­ten, wenn man im sozia­len Getrie­be das Gute mutig unter­stüt­zen will.“
Bei aller beson­ne­ner Zurück­hal­tung müs­sen die Psy­cho­ana­ly­ti­ker mutig und enthu­si­as­tisch für ihre alte und trotz­dem unreif geblie­be­ne Wis­sen­schaft ein­ste­hen, sie ver­tei­di­gen und sie wei­ter­ent­wi­ckeln, sie müs­sen sich dafür ein­setz­ten, dass sie es Wert ist Gehör zu bekom­men. Denn, wenn sie nicht sel­ber von ihrer Aus­sa­ge­fä­hig­keit über­zeugt sind, oder den­ken, sie sind nicht ver­pflich­tet der Psy­cho­ana­ly­se eine Stim­me zu ver­schaf­fen, dann wird die Psy­cho­ana­ly­se viel­leicht wei­ter unter­ge­hen. Selbst­be­wusst­sein und Enthu­si­as­mus, das kann man den Ver­tre­tern der Psy­cho­ana­ly­se nur wün­schen, denn es kann nicht ver­kehrt sein, sich für die rich­ti­ge Sache enthu­si­as­tisch einzusetzen.
So for­dert Küchen­hoff, dass die Psy­cho­ana­ly­se im Dia­log mit den Nach­bar­wis­sen­schaf­ten selbst­be­wuss­ter auf­tre­ten kön­ne, als sie dies manch­mal tue. Das Berufs­ri­si­ko der ana­ly­ti­schen Zurück­hal­tung meint uns eine Regres­si­on in eine Pas­si­vi­tät zu sein. Bei dem Sub­jekt mag die Zurück­hal­tung sinn­reich zu funk­tio­nie­ren. Zwar muss der Ana­ly­ti­ker dem Pati­en­ten Raum geben, er muss ihn eine Wei­le „tra­gen“ und in ihm die Lösung fin­den, doch eine Gesell­schaft wird man mit Pas­si­vi­tät nicht wei­ter­ent­wi­ckeln und ver­än­dern kön­nen. Der Ana­ly­ti­ker Moser trifft das ziem­lich genau mit dem Satz „Vom blo­ßen Inter­pre­tie­ren und Zurück­spie­geln wird die Welt nicht bes­ser. Unse­re Gesell­schaft braucht ein aktiv zurück­ge­spie­gel­tes Bild davon, wie sie wer­den soll, min­des­tens aber: wie sie nicht blei­ben darf.“
Wenn man in Berüh­rung mit der Psy­cho­ana­ly­se kommt, sei es als Pati­ent, Aus­bil­dungs­kan­di­dat oder gar Ana­ly­ti­ker, dann hat man etwas unge­wöhn­lich Hilf­rei­ches aber nicht all­ge­mein Zugäng­li­ches erfah­ren. Die­se Erfah­rung wirkt als Last, da die nicht vor­han­de­ne Zugäng­lich­keit für die Gesell­schaft sich als eige­ne Schuld und Scham auf den ana­ly­tisch Inter­es­sier­ten auswirkt.
Die psy­cho­ana­ly­ti­schen Erkennt­nis­se dür­fen nicht ein­fach so bestehen, sie soll­ten einem Zweck die­nen, dem Zweck etwas in der Welt zu bewir­ken. Ohne For­schung wird das aller­dings nicht mög­lich sein, denn die Psy­cho­ana­ly­se kommt nicht über die Pra­xis­schwel­le, wenn sie sich nicht an der Uni­ver­si­tät als Wis­sen­schaft eta­bliert wird.

Wenn wir uns damit beschäf­ti­gen was die Psy­cho­ana­ly­se für die Gesell­schaft tun kann, meint uns die Fra­ge ent­schei­dend: „Wie hät­ten die fami­liä­re Umwelt und die hel­fen­den sozia­len Ein­grif­fe aus­se­hen müs­sen, die die Her­aus­bil­dung einer schwe­ren Neu­ro­se hät­ten mil­dern oder ver­hin­dern kön­nen?“ Die­se Fra­ge ist eben­falls nicht neu, sie ist von Moser, doch sie wur­de anschei­nend ver­ges­sen. Er schrieb vor eini­gen Jah­ren „Es wird zu wenig reflek­tiert, wie mit Men­schen in Gesell­schaft, in Kin­der – und Für­sor­ge­hei­men, in psych­ia­tri­schen Kran­ken­häu­sern, Behin­der­ten­an­stal­ten, Gefäng­nis­sen, aber auch Kin­der­gär­ten und Schu­len umge­gan­gen wird, weil das ana­ly­ti­sche Instru­ment der Erfor­schung unbe­wuss­ter Vor­gän­ge, die dort ja kei­ne gerin­ge Rol­le spie­len, kaum ange­wandt wird.“ So erscheint uns die Nicht­be­schäf­ti­gung mit die­sen Fra­gen als blind gegen­über der gesell­schaft­li­chen Ver­ant­wor­tung. Wie kön­nen wir bei der der­zei­ti­gen gesell­schaft­li­chen Situa­ti­on recht­fer­ti­gen, dass Psy­cho­ana­ly­se nur Anwen­dung auf Ein­zel­pa­ti­en­ten erfährt?
Es gibt eini­ge psy­cho­ana­ly­ti­sche Berühmt­hei­ten, die sich in poli­ti­sche und gesell­schaft­li­che Dis­kus­sio­nen ein­ge­mischt haben, aller­dings eine ver­schwin­dend klei­ne Zahl. So ist bei­spiels­wei­se zu hof­fen, dass die Bemü­hun­gen von Horst Eber­hardt Rich­ter nach sei­nem Tod nicht in Ver­ges­sen­heit gera­ten und halt­los ver­lo­ren gehen. Es ist in all­ge­mei­nem Inter­es­se, dass die Zahl der Ana­ly­ti­ker, die mutig für Wei­ter­ent­wick­lun­gen der Gesell­schaft kämp­fen grö­ßer wird, nicht klei­ner und es bleibt zu hof­fen, dass nicht einer der letz­ten akti­ven Ana­ly­ti­ker gestor­ben ist.
Es wird doch kei­ne Sün­de sein, sich den Platz und damit ver­bun­de­nen Stel­len­wert der Psy­cho­ana­ly­se an der Uni­ver­si­tät zu erhinken.
Eher wagen wir damit einen längst über­fäl­li­gen Schritt. Wenn wir nicht dafür sor­gen, dass im Bereich der uni­ver­si­tä­ren Bil­dung Gerech­tig­keit, also Auf­nah­me und Auf­bau der Psy­cho­ana­ly­se und damit Viel­falt des Faches Psy­cho­lo­gie herrscht, wenn wir nicht das Hoch­schul­sys­tem gerecht gestal­ten, wie kön­nen wir dann von dem Ein­zel­nen ver­lan­gen, dass die Kunst mora­lisch-gerecht zu sein, inter­na­li­siert wird?

Lite­ra­tur­ver­zeich­nis

  • Are­ndt, Han­nah (2007): Über das Böse. Eine Vor­le­sung zu Fra­gen der Ethik, Mün-chen
  • Freud, Sig­mund (1920): Jen­seits des Lust­prin­zips. in: http://​www​.text​log​.de/​f​r​e​u​d​-​p​s​y​c​h​o​a​n​a​l​y​s​e​-​s​c​h​l​u​s​s​f​o​l​g​e​r​u​n​g​e​n​-​j​e​n​s​e​i​t​s​-​l​u​s​t​p​r​i​n​z​i​p​s​.​h​tml, Stand: 16.01.2012
  • Grün­baum, Adolf (1988): Die Grund­la­gen der Psy­cho­ana­ly­se. Eine phi­lo­so­phi­sche Kri­tik, Stuttgart
  • Joa­chim, Küchen­hoff (2005): Die Psy­cho­ana­ly­se – Eine zeit­ge­mä­ße Wis­sen­schaft?. Erfolg und Kri­se der Psy­cho­ana­ly­se, in: http://​www​.vel​brueck​-wis​sen​schaft​.de/​p​d​f​s​/​k​u​e​c​h​e​n​h​o​f​f​.​pdf, Stand: 16.01.2012
  • Kut­ter, Peter (2004): Psy­cho­ana­ly­ti­sche Inter­pre­ta­ti­on und empi­ri­sche Metho­den. Auf dem Weg zu einer empi­risch fun­dier­ten Psy­cho­ana­ly­se, Gießen
  • Mit­scher­lich, Alex­an­der (1984): Ein Leben für die Psy­cho­ana­ly­se. Anmer­kun­gen zu mei­ner Zeit, Frank­furt am Main
  • Moser, Till­mann (1974): Lehr­jah­re auf der Couch. Bruch­stü­cke mei­ner Psy­cho­ana­ly-se, Frank­furt am Main
  • Mül­ler-Poz­zi, Heinz (32002): Psy­cho­ana­ly­ti­sches Den­ken. Eine Ein­füh­rung, Bern