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Es ist besser, ein unzufriedener Mensch als ein zufriedengestelltes Schwein zu sein; besser ein unzufriedener Sokrates als ein zufriedener Narr.
John Stuart Mill
Ältere Generationen pflegen häufig zu sagen: „Früher, da war alles besser!“
Dass „damals“ die Welt eine andere war bezweifelt auch niemand. Wir leben heute demokratisiert und liberaler. Der moderne Mensch muss nicht mehr warten, er bestellt im Internet und kauft in 24h-Shops. Die Norm, keinen Triebaufschub zu leisten, ergibt sich diesbezüglich nicht aus ideellen Erwägungen, sondern aus der Umgebung, welche die Mittel stellt, beziehungsweise aus der Gewohnheit sich die Dinge sofort kaufen zu können.
Es stellt sich dementsprechend die Frage, wozu unter diesen Umständen noch Triebaufschub geleistet werden sollte? Wir erhalten alles möglichst zeitnah und wir schätzen unsere Dinge weniger, weil wir jederzeit Ersatz finden. Es hat sich demnach sowohl die Qualität als auch die Quantität des Konsums verändert.
Ist so viel Toleranz generell gut? Ab wann sollte man wohl nicht mehr „leben lassen” und für Veränderung plädieren?
Wenn das Es aus lauter Konsumgier dominiert und das Über-Ich an Bedeutsamkeit verliert, sozusagen aufgefressen wird – im Sinne von Einverleibung dann kann man annehmen, dass auch moralische Werte und Normen weniger wichtig für das Individuum werden. Die Erwartungen der Gesellschaft an das Individuum sind anders. Es stört uns weniger, wenn der Nachbar unseren moralischen Ansprüchen nicht genügt. Oft kennen wir ihn nicht einmal. „Leben und leben lassen” dient als liberaler Großstadtslogan.
Ist so viel Toleranz generell gut? Ab wann sollte man wohl nicht mehr „leben lassen” und für Veränderung plädieren? Der Slogan dient vielleicht als Maske, hinter der man sich des Öfteren versteckt, um sich nicht mit dem Gegenüber auseinander zu setzen. Vielleicht dient er sogar dazu nicht Stellung beziehen zu müssen? Womöglich findet sich hinter einer manifesten Scheintoleranz in Wirklichkeit eine latente ignorante Lebenseinstellung.
Erstaunlich ist, dass trotz der neusten Kommunikationsmittel, wie beispielsweise dem Internet und Telefonflatrates, die sozialen Verknüpfungen nicht qualitativ besser sind. So werden persönliche Treffen unbequemer durch die Alternative von Skype oder sozialen Netzwerken, da man sich im Internet ein ideales Selbst erschaffen kann. Das schönste Profilbild wird gewählt und gegebenenfalls überarbeitet.
Man gibt preis, was man will, möglichst das, was vermutlich beim Gegenüber als positiv bewertet werden wird. Die ständige Erreichbarkeit über Handy und Email bringt eine zunehmende Flexibilität mit sich, die Treffen auch unverbindlicher macht. Man kann ja in letzter Stunde noch absagen oder Treffen verschieben.
Zur Aufrechterhaltung des idealen Selbst entfernt man sich daher vermutlich bewusst und gewollt voneinander. Scheuen wir uns vielleicht davor andere Menschen konstruktiv zu kritisieren, uns der Konfliktlösung wie Freud sie forderte zu stellen, indem wir zwischen Eigen- und Fremdinteressen, Egoismus und Fremdliebe eine Balance schaffen?
Die Gesellschaft erhofft sich dadurch eine „dehnbare” Moral. In dieser dehnbaren Moralvorstellung gibt es nicht nur die eine oder andere Seite – unser Begriff der Moral ist mittlerweile besonders geprägt durch die individuelle Ansichtsweise. Moral kann eigennützig selbstdefiniert sein und scheinbar frei von einem Einheitsbild, sie kann aber nie völlig frei von gesellschaftlichen Zusammenhängen entstehen. Schon Freud hat jenes Grundproblem der Moral angesprochen, indem er die Rolle des Triebverzichts hervorhob. Auch Kant fordert mit dem kategorischen Imperativ, dass man nach derjenigen Maxime handeln sollte, von der man zugleich will, dass sie als ein allgemeines Gesetz gültig werden kann.
Wenn man eine Maxime fordert, welche zugleich ein allgemeingültiges Gesetz werden kann, muss man diese natürlich auch selber befolgen und ist somit auch an moralische Verpflichtungen gebunden. Fordert man hingegen keine Maximen ein, dann muss man sich ebenfalls nicht an diese halten. Die Folge: Am besten interessieren wir uns nicht für Edelsanierungsopfer in Großstädten, die Klimakatastrophe oder gar die erbärmliche Situation der verarmten Studenten. Die Anonymität folgt.
Könnte es passieren, dass wir mehr und mehr an Interesse für einander und somit auch an Menschlichkeit verlieren? Wir leben in einer technischen und modernisierten Welt, wozu ist da noch Nachbarschaft gut und wozu bedarf es Gesellschaftsregeln? Moralische Verpflichtung und ein Bewusstsein für einander sind ein Gut das wir schätzen müssen, um einen Sozialstaat aufrecht zu erhalten.
Ein Über-Ich, welches sinnvoll ist, wenn es keine neurotischen Züge annimmt, verliert scheinbar an Bedeutung. Die zunehmende Bedeutung des Über-Ichs kann in Form des Altruismus sicherlich auch Freude bereiten, sie kann aber auch auf Kosten des Individualitätsdranges und des Triebaufschubes das Gemüt unzufrieden stellen.
Doch wie sagte bereits Mill? „Es ist besser, ein unzufriedener Mensch als ein zufriedengestelltes Schwein zu sein; besser ein unzufriedener Sokrates als ein zufriedener Narr.“