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Als ich zum ersten Mal ein Hotel von innen sah – mit neun oder zehn Jahren im Familienurlaub – war ich voller Spannung. So viele namenlose Fremde, von denen jeder seine eigene, verborgene Geschichte herumtrug, hinter so vielen geschlossenen, identischen Zimmertüren in so vielen leeren Gängen! Wäre es möglich gewesen, hier mit meinem Freund Geheimagent zu spielen, wie wir es zuhause an jedem zweiten Nachmittag taten – wir hätten wohl sämtliche Mahlzeiten verpasst. Warum ich diesen Ort so inspirierend fand, weiß ich erst heute. Denn der neueste Film der Reihe, der den Titel „Skyfall“ trägt, legt das verbindende Element, ein Betriebsgeheimnis gewissermaßen, offen dar.
Es ist die bis zur Kälte formalisierte Mütterlichkeit, die sowohl den filmischen Kosmos von James Bond als auch das Hotel im Innersten zusammenhält. Im Hotel ist für Sicherheit, Sauberkeit, Wärme, Schlafen, Essen, Trinken usw., häufig sogar für ein „Betthupferl“, gesorgt – es erfüllt, psychoanalytisch betrachtet, quasi-mütterliche Versorgungsaufgaben. Auch der Ausdruck „Hotel Mama“ bezeugt, dass Hotels eine quasi-mütterliche Leistung anbieten, die aber natürlich nur eine leere Hülle ist, weil sie ihres wichtigsten Bestandteils beraubt ist: der mütterlichen Liebe. Dieser Mangel ist vielleicht eine Unvollkommenheit, vielleicht aber auch gerade der Sinn des Hotels: In seiner Anonymität wird niemand, der sich in der Fremde befindet, darauf aufmerksam gemacht, was ihm eigentlich fehlt. Doch wie ist das mit der Welt von James Bond?
„Im neuen, nunmehr siebten gemeinsamen Abenteuer bildet die ödipale Beziehung das dunkle Herz des ganzen Films.“, schreibt der ZEIT- Redakteur Christof Siemes und hebt lobend die „Wendung nach innen, ins Psychologische“ an dem jüngsten Auftritt von James Bond in „Skyfall“ hervor, in dem ein verstoßener Agent den britischen Geheimdienst und seine Leiterin M zu vernichten sucht (Siemes, 2012). Siemes deutet sehr richtig auf den Kern des neuen Films, aber leider verfehlt seine Interpretation die Natur der Beziehung zwischen dem britischen Geheimagenten und seiner Vorgesetzten. Es stimmt, dass James Bond keine wirklich bedeutsamen Beziehungen zu Frauen hat und nur zu M immer wieder zurückkehrt. Es stimmt ebenso, dass sie ihn überwacht und seinen Lebensstil häufig abschätzig bis sorgenvoll kommentiert. Wenn Christof Siemes diese Beziehung jedoch als „ödipal“ und Bond als „Sohn“ von „M(om)“ darstellt, erweckt er den Anschein, es handle sich hier um eine genuine Mutter-Sohn-Beziehung und nicht um eine quasi-Beziehung, der gerade alle persönliche Verbundenheit fehlt.
Denn gerade dass keine tiefen Bindungen dort existieren, dass jeder Soldat ersetzbar ist, gibt James Bond, der eigentlich von einem traumatischen Verlust und der Unersetzbarkeit seiner Eltern gezeichnet ist, eine Art Unverwundbarkeit, die er auf anderem Wege nicht bekommen kann.
Dieser elementare Mangel zeigt sich bereits in ihrem bis auf das Initial reduzierten Namen „M“, der eigentlich mehr eine Dienstposition als ein Individuum bezeichnet. Auch Ms soldatische Indifferenz gegenüber den Bauernopfern, die die Geheimdienstaktivitäten immer wieder fordern, trägt keine Züge von Mütterlichkeit – schon in der Anfangssequenz wird deutlich, dass auch Bond mehr Bauer als Kronprinz ist. Und auch wenn er M schließlich bis aufs Blut verteidigt, gewinnt man doch eigentlich an keiner Stelle den Eindruck, er kämpfe dort um seine Mutter. Denn deren gewaltsamer Tod geht Bonds Eintritt in den Geheimdienst voraus, was M an einer Stelle nüchtern mit dem Satz kommentiert: „Waisen waren immer schon die besten Rekruten“. Wenn also Bond nicht, wie Siemes naiv-psychologisch behauptet, gegen seinen „Bruder“, um Leben und Gunst seiner „Mutter“ kämpft – was tut er dann?
Er verteidigt die symbolische Ordnung von Gut und Böse, die „Welt“, die ihm der Geheimdienst bietet. Dieser versorgt ihn nämlich quasi-mütterlich mit Erziehung, Bildung, Werten, einer Sicht der Welt; er sorgt für körperliche Gesundheit und finanzielle Möglichkeiten. Und seine Ordnung enthält den Mangel an persönlichen Beziehungen nicht als lästigen Nachteil, sondern als konstitutives Element. Denn gerade dass keine tiefen Bindungen dort existieren, dass jeder Soldat ersetzbar ist, gibt James Bond, der eigentlich von einem traumatischen Verlust und der Unersetzbarkeit seiner Eltern gezeichnet ist, eine Art Unverwundbarkeit, die er auf anderem Wege nicht bekommen kann. Aus dieser Perspektive sind nicht nur Waisen die „Lösung“ für den Geheimdienst, wie man M verstehen könnte – sondern der Geheimdienst ist ebenso sehr eine Lösung für die Waisen.
Der lacanianische Psychoanalytiker und Philosoph Slavoj Žižek schreibt, dass „die ‚Welt‘ als solche – das, was wir als ‚Realität‘ bezeichnen – bereits ein Symptom ist“ und das Symptom „eine bestimmte Formation, die nur insofern existiert, als das Subjekt eine fundamentale Wahrheit über sich selbst ignoriert“ (Zižek, 1992). Insofern ist es gut für das Kinopublikum, dass Bond nicht, wie Siemes behauptet, auf „Selbsterkundungstrip“ geht – sonst käme das große Geheimdienstspiel womöglich an sein Ende und wir könnten nur noch auf leeren Hotelfluren in Erinnerungen an den großen Helden im Dienste seiner Majestät schwelgen.
Action von Sam Mendes
Mit Daniel Craig, Javier Bardem, Judy Dench