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IDPAU: Hallo Prof. Sandell, vielen Dank, dass Sie sich im Rahmen der Sandler-Konferenz für dieses Interview bereit erklärt haben. Sie sind Psychoanalytiker und Professor für klinische Psychologie. Wie sehen Sie den allgemeinen Stellenwert der Psychoanalyse im Lehrplan eines Psychologiestudenten?
Rolf Sandell: In Schweden gibt es fünf oder sechs Universitäten, die eine Ausbildung zum Psychologen ermöglichen. Dies beinhaltet ein fünfjähriges Studium inklusive eines Praktikums und anschließendem praktischen Jahr. Es gibt jedoch keine speziell psychoanalytischen Kurse. Lediglich einige wenige Kurse in psychodynamischer Psychotherapie. Jedoch stehen die meisten schwedischen Psychologiestudenten der klassischen Psychoanalyse skeptisch gegenüber. Sie betrachten sie als altbacken, out-of-date, andererseits zeigen Viele Interesse an Themen wie der Affektfokussierten Psychotherapie oder an Mentalisierungstheorien. Die meisten der Lehrenden an den Psychologischen Fachbereichen haben sicher schon etwas über Psychoanalyse gelesen, interpretieren sie aber falsch oder simplifiziert. Lehrende, die auch Psychoanalytiker sind, gibt es nur an den Universitäten in Stockholm, Uppsala und Lund. An manchen Universitäten müssen sich die Studenten im siebten Semester für eine der Therapieschulen entscheiden, das heißt entweder Kognitive Verhaltenstherapie (CBT) oder eben Psychodynamische Psychotherapie (PDT). Diese Wahl eignet sich auch als ein gutes Maß für das Interesse an der Psychoanalyse. Ich kenne dies so von Stockholm, und für viele jahre gab es dort eine überwiegende Anzahl, die sich für CBT entschieden haben.
Der Tiefpunkt war dann während einem Semester erreicht, indem sich nur ein Student für die PDT einschrieb. In den letzten Jahren wird es jedoch zunehmend ausbalancierter und ich hatte gehört, dass es im letzten Semester mehr Studenten im PDT- als im CBT-Kurs gab. Ein Grund jedoch, warum sich so viele angehende Psychologen für die Verhaltenstherapie entscheiden, sind die anschließenden Aussichten auf dem Arbeitsmarkt. In entsprechenden Stellenanzeigen werden zumeist verhaltenstherapeutische Kenntnisse verlangt.
Also, der Stellenwert der Psychoanalyse an schwedischen Universitäten ist sehr gering und die Prognose ist nicht sehr gut. Die Schwedische Psychoanalytische Vereinigung bietet zwar auch Öffentliche Vorträge an, da kommen aber vielleicht nur fünf oder sechs Studenten. Ich glaube, das von mir gezeichnete Bild ist schon etwas pessimistisch.
Einer der Umstände, der den Ruf der Psychoanalyse beschädigt hat, ist, dass wir zu impressionistisch, zu unsystematisch waren – too much telling stories.
In Deutschland sind etwa die Hälfte der von den Gesetzlichen Krankenkassen gedeckten Psychotherapien psychoanalytisch /psychodynamisch. Gleichzeitig werden fast alle der Lehrstühle für Klinische Psychologie von Verhaltenstherapeuten besetzt. Was denken sie darüber?
Das gleiche gilt für die Lehrstühle in Schweden. Ich glaube, ich bin der einzige Professor in Klinischer Psychologie, der auch ausgebildeter Psychoanalytiker ist, den es je in Schweden gab. Es hielten schonmal Psychoanalytiker Lehrstühle für Psychiatrie inne, das gibt es heute aber auch nicht mehr. Ich glaube, die Erklärung dafür ist einfach, denn Psychoanalytiker gehen einfach nicht den Forschungsrichtungen nach, die in der Akademie geschätzt werden. Die Kognitiv-Behaviorale Schule hingegen ist im Forschungsbereich wesentlich aktiver. Neun von Zehn Studien zur Psychotherapie sind CBT-geprägt, zumindest was outcome-Studien angeht. Das heißt, Verhaltenstherapeuten sind formal qualifizierter. Kollegen aus den USA erzählten mir sogar, man solle möglichst seine psychoanalytische Ausbildung verschweigen, wenn man sich für gewisse Positionen bewirbt.
Aus meiner Erfahrung als Student derselben ist die akademische Psychologie stark positivistisch geprägt. Denken Sie, das könne sich in der Zukunft ändern?
Nein. Mir fällt es schwer sich das vorzustellen. In Europa – vielleicht einmal ausgenommen Frankreich und Spanien – stehen wir unter einem so starken Einfluss der USA. Natürlich gibt es auch dort eher in phänomenologischer Richtung Arbeitende, aber der überwiegende Teil ist positivistisch geprägt. In Südamerika ist es dagegen ganz anders. Ich habe zehn Jahre lang in London beim research training der International Psychoanalytical Association mitgewirkt. Dort haben wir mit Forschern aus der ganzen Welt gearbeitet, und wenn ich denjenigen aus Südamerika zuhörte, bemerkte ich, dass sie einen ganz anderen Diskurs pflegen. Sie sprechen eine andere Sprache, jedenfalls keine positivistische. Wir haben Probleme sie zu verstehen und umgekehrt, wie bei zwei verschiedenen Sprachen.
Ich denke jedoch ein moderater Positivismus ist etwas gutes. Einer der Umstände, der den Ruf der Psychoanalyse beschädigt hat, ist, dass wir zu impressionistisch, zu unsystematisch waren – too much telling stories. Ich würde empfehlen, dass die Psychoanalyse versucht, mehr systematisch und etwas mehr positivistisch zu werden. Denn dies ist die einzige Möglichkeit, wieder eine gute Reputation in der wissenschaftlichen Welt zu bekommen – doch so passiert es ja gerade auch.
Ja, wie wir ja auch hier auf der Konferenz darüber gesprochen haben.
Ja, es wird sich vielleicht einmal ändern, aber nicht mehr während meines Lebens und vielleicht auch nicht mehr während Ihres Lebens.
Die IDPAU e.V. ringt darum, die Psychoanalyse wieder in die Lehrpläne der Universitäten zu bringen. Haben Sie da für uns einen Rat?
Als die „evidenzbasierte Bewegung“ wieder und wieder nachwies, dass es nur sehr wenige Studien gibt, die evidenzbasiert für die Psychoanalyse sprechen, kam es meinem Empfinden nach in Schweden unter den Psychoanalytikern zu Gefühlen der Unsicherheit und als Konsequenz daraus folgte, dass die Betroffenen sich ineinander verknüllten, um sich gegen die Außenwelt zu verteidigen und sich gegeneinander zu stützen. Vor 25 Jahren sah das anders aus, da hatten die Psychoanalytiker einen guten Ruf. Sie arbeiteten in allen Arten von Krankenhäusern und taten nebenbei noch extraklinische Arbeit. Heutzutage sitzen jedoch die meisten von ihnen ihn ihren Praxen und behandeln ihre wenigen Patienten. Ich kann sagen, in Schweden ziehen sich die meisten in ihre Praxen zurück – anstatt nach außen in die Öffentlichkeit zu treten.
Aber ihre Frage handelte von einem Rat. Ich würde versuchen, an Professoren der Psychologie heranzutreten, die ihren Studenten dann eine Aufgabe stellen. Und zwar in Gruppen von zwei bis drei Studierenden einen Psychoanalytiker zu konsultieren und mit ihm ein Interview zu führen, um zu erfahren, was Psychoanalyse wirklich ist. Die Aufgabe bestünde dann neben dem Interview in der Anfertigung eines zehnseitigen Berichts. Vielleicht möchten nur wenige Psychoanalytiker vor eine ganze Klasse treten, gegen einen Besuch von zwei, drei Studenten wird jedoch wohl keiner etwas einzuwenden haben. Der Sinn dieser Sache bestünde darin, dass sich einerseits die Studenten mit der Psychoanalyse auseinandersetzen und andererseits, dass die Psychoanalytiker sich einer gewissen Öffentlichkeit stellen müssten.