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IDPAU: Sie betreiben tiefenpsychologische Marktforschung. Angenommen die universitäre Psychologie käme zu Ihnen auf die Couch, um ihre Wirkung prüfen zu lassen – wie würden Sie vorgehen?
Stephan Grünewald: Wir untersuchen die Marke immer vom Verbraucher aus – wir würden in dem Fall also mit den Studierenden Interviews machen, beispielsweise fragen „Wie erleben Sie Ihr Studium? In was für eine Entwicklung geraten Sie? Die Erwartungen, die Bilder mit denen Sie gestartet sind – werden die eingelöst?“. Entwicklung heißt ja nicht nur, dass Erwartungen eingelöst werden, sondern auch die Erfahrung, dass wir in Neuland, in Unvertrautes geraten. Das Psychologiestudium ist in meinen Augen wenn es gut läuft eine gigantische Destabilisierung: Wir haben ja unsere Wertschemata, wir haben unseren Verhaltenskodex, wir haben unsere Überzeugungen, unsere Haltungen – das soll alles systematisch einmal hinterfragt werden. Es wäre interessant, wenn man Studenten heute untersuchen würde – passiert das heute noch so? Dass man in einen Prozess kommt, wo man wirklich weiche Knie bekommt und das Gefühl hat „ich verstehe mich und die Welt nicht mehr“, das aber als einen Übergang in ein anderes Verständnis sieht. Die herrschenden Verhältnisse sind ja eher „wie können wir das direkt handhabbar machen, operationalisieren, für die Wirtschaft nutzen“. Ich selbst habe 14 Semester studiert – die habe ich auch gebraucht, um Entwicklungsprozesse mit Höhen und Tiefen zu durchlaufen.
An den Universitäten bestehen heute oft Vorurteile gegenüber psychodynamischen Konzepten – sie gelten als unwissenschaftlich. Was kann eine psychodynamische Herangehensweise heutigen Psychologiestudierenden bringen?
Ich glaube, dass man als Student immer im Blick haben sollte: Wissenschaft fällt nicht vom Himmel, sondern ist Produkt einer Wissenschaftsgeschichte. Das heißt es gibt in der Psychologie – aber auch in anderen Wissenschaften – unterschiedliche Gegenstandsbildungen. Professor Salber begann in seiner Habilitation damit, sich alle Gegenstandsbildungen, die Ende der 50er Jahre in der Welt verfügbar waren, anzuschauen und daraus eine Meta-Theorie der Gegenstandsbildung zu entwickeln. Daher war es nie so, dass man als Student damals sagte „das eine ist richtig oder falsch“ sondern „verstehen geht nur, wenn man sich auf ein Konzept einlässt und daraus eine Stringenz entwickelt“. Wenn man ein Potpourri macht und in die Beliebigkeit abrutscht – hier ein bisschen Psychoanalyse, da ein bisschen Gestalttheorie, hier ein bisschen Behaviorismus, da ein bisschen Kognitivismus – dann kann man zwar überall auf Parties glänzen, wichtig ist aber letztlich dass man aus einer Methode stringent Ableitungen trifft; also dass man weiß, was man tut, und dass es methodische Gesetzmäßigkeiten gibt.
Das Ziel unseres Vereines ist es ja, die Psychoanalyse wieder mehr in die Universitäten zu integrieren. Psychodynamische Konzepte in der Lehre – was ist Ihre Prognose dazu?
Die dynamischen Konzepte werden in absehbarer Zeit nicht die Mehrheit haben, aber sie werden auch nicht unterzukriegen sein. Das kriege ich in meiner eigenen Branche mit – wenn die Firmen nicht weiter wissen und wirklichen Leidensdruck haben, dann kommen sie zu uns. Letztendlich glaube ich ist das Verhältnis der Mainstream-Psychologie zu den psychodynamischen Ansätzen wie das Verhältnis von Tag und Traum: Der Tag bestimmt 16 Stunden lang unsere Wirklichkeit, der Traum als Selbstgespräch der Seele rückt wieder in den Blick, was in unserer Seele los ist, was wir vielleicht auch noch wollen, was wir nicht berücksichtigt haben – der Traum ist viel psychologischer als das Tagwerk und das träumende Auge sieht mehr als das wache Auge. Aber ich glaube, unsere Wirklichkeit ist auch so gebaut, dass wir viel besser funktionieren, wenn wir uns viele Sachen nicht klar machen, wenn wir nicht hingucken, wenn wir so eine „Augen zu und durch“-Denke haben. Ich beschreibe das ja auch in meinem Buch „Die erschöpfte Gesellschaft“ – gerade im Angesicht der Krise schalten viele auf Autopilot, stürzen sich in Überbetriebsamkeit, weil dieses Hamsterrad uns diesen wunderbaren Zustand der besinnungslosen Betriebsamkeit beschert: Wir müssen uns keinen Kopf machen, uns nicht mit ungelösten Fragen herumschlagen. Das ist eine ungeheure Erleichterung, und viele Menschen werden unruhig, wenn sich am Wochenende unverplante Zeit eröffnet, weil dann stürzen wieder die offenen Fragen auf sie ein. Psychodynamische Ansätze wird es immer wieder geben, sie werden uns faszinieren, sie werden uns in Unruhe stürzen, aber sie werden glaube ich nie mehrheitsfähig sein.
Es ist wichtig, als Psychologe der eigenen Neugier, den eigenen Interessen zu folgen. Die Fragen, mit denen ich einmal angetreten bin – kriege ich die hier beantwortet? Wird hier mein Forschergeist befeuert?
Stephan Grünewald
Auch unter Studierenden wächst die Zahl der Erschöpften. Was würden Sie Psychologiestudierenden in Zeiten von Bachelor und Master raten, um nicht in die Hamsterrad-Falle zu tappen?
Es ist wichtig, als Psychologe der eigenen Neugier, den eigenen Interessen zu folgen. Die Fragen, mit denen ich einmal angetreten bin – kriege ich die hier beantwortet? Wird hier mein Forschergeist befeuert? Man kann das nicht auf Knopfdruck, man kann nicht sagen „ich pauk´ das ein“ – sondern das sind Entwicklungsprozesse, die sich über Semester, manchmal über Jahre entspannen. Seelisches braucht Zeit. Um das Vordiplom herum hat sich eine Freundin von mir getrennt, darüber bin ich in eine Krise geraten und habe mich selber auf die Couch gelegt; diese Verquickung, dass ich selber einmal auf der Couch erlebt habe, was ein Widerstand ist – das hat fast genau so viel gebracht wie das Studium. Leibnahe Erfahrungen sind wichtig – dass man selber kleine Untersuchungen macht, dass man Erlebensbeschreibungen anfertigt, dass man mit seinen Kommilitonen diskutiert; dass man das, was man mehr oder weniger theoretisch verstanden hat, am eigenen Leib noch einmal erfährt – das ist fast noch wichtiger als die Lehrveranstaltungen.
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