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Am 29.06.2013 fand von 9 bis 16 Uhr in der Universität Bielefeld das Tagesseminar „Psychoanalyse und qualitative Methoden“ mit Prof. Dr. Michael Buchholz statt. Zunächst wurde die philosophische Grundierung hinter den Forschungsmethoden in der Psychotherapie vorgestellt. Anschließend folgte eine Erläuterung zu der Kontroverse zwischen qualitativen und quantitativen Ansätzen der Psychotherapie und ihren Methoden, und zuletzt wurde den Zuhörern die sozialwissenschaftliche Konversationsanalyse anhand eines konkreten Erstinterviewtranskripts näher gebracht. Bei der Vorstellung der im akademischen Forschungsbetrieb dominanten quantitativen und den vergleichsweise nachrangigen qualitativen Forschungsansätzen wurden verschiedene Aspekte hervorgehoben. Der Glaube an eine einsichtige Realität, die Möglichkeit objektiven Wissens, Kontrolle von Bedingungen, Deduktion und Erklärung im Zusammenhang mit Replizierbarkeit kennzeichnen die quantitative Methodik, für die zudem der experimentelle Zugang, numerische Daten und statistische Analysen charakteristisch sind.
Dem gegenüber stehen die Feldstudien, „sprachliche“ Daten und interpretative Analysen der qualitativen Forschung. Die psychosozial situierte Wirklichkeit, konstruiertes Wissen, das Verstehen (Einmaligkeit) und Induktion sind Schlüsselbegriffe qualitativer Forschungsansätze. Als ein Beispiel für diese unterschiedlichen Herangehensweisen führte Herr Prof. Dr. Buchholz die Antworten auf die Frage nach der Anzahl der zur Beantwortung einer Forschungsfrage erforderlichen Interviews an: Ein quantitativer Forscher würde die Anzahl an den statistischen Auswertungsmethoden orientieren und eine darauf abgestimmte Mindeststichprobengröße nennen, während ein qualitativ orientierter Forscher in etwa sagen könnte: „Mach ein paar Interviews, vielleicht 5 oder 6, und schau, was Dir dabei auffällt. Achte darauf, was Du erwartest, was Du fragst und was Du vielleicht hättest fragen sollen, und trete mit den so gewonnenen Erkenntnissen an weitere Interviewpartner ran. Deren Antworten wertest Du abermals aus daraufhin, ob sich neue Aspekte zeigen, die sich vorher noch nicht gezeigt haben, und auf diese Weise trittst Du immer wieder neu an Dein Material und weitere Interviewpartner heran, bis sich keine weiteren Facetten in Bezug auf Dein Thema zeigen und Du den Eindruck hast, dass Deine Erfahrung einen gewissen Sättigungsgrad erlangt hat, weil Du durch weitere Interviews keinen weiteren Lernfortschritt machst, sondern nur mehr desselben findest. Dann berichte über Deine Erfahrungen und reflektiere, was Du gelernt hast.“ Im qualitativen Paradigma würde also der Zuwachs an Erfahrung und Wissen im Prozess der Auseinandersetzung mit einem Erkenntnisgegenstand elementarer Bestandteil der Forschung, der Prozess selbst zum Gegenstand der Reflexion im Rahmen eines schrittweisen Anreicherns der eigenen Erfahrung mit dem fokussierten Thema. Im Gegensatz dazu sind quantitative und experimentelle Herangehensweisen auf die Beantwortung von Fragen binär-logischer Formulierung ausgelegt – die Hypothese wird so formuliert, dass sie falsifiziert werden kann, andere Formulierungen werden als nicht wissenschaftlich betrachtet.
Dementsprechend stehen Vertreter qualitativer und quantitativer Forschungsmethoden sich kritisch gegenüber. Herr Prof. Dr. Buchholz schilderte die Debatte beider Forschungsrichtungen als eine Art „Kampf“, welcher in einer monistischen Einstellung begründet liegt. Die Ko-Existenz der verschiedenen Paradigmen wird nur zeitweilig akzeptiert, vergleichbar mit einem Pferderennen, bei dem man die Teilnehmer so lange als gleichwertig ansieht, bis man weiß, wer der Beste ist – daran, dass es diesen einen Besten gibt, wird allerdings nicht gezweifelt. Problematisch ist hierbei der Mangel an Reflexivität gegenüber den eigenen Ausgangspunkten. Methoden werden als selbstverständlich angenommen, statt als abhängig von axiomatisch gesetzten philosophischen Voraussetzungen, sodass eine unkritische Anwendung und unhinterfragte Generalisierung der eigenen Methoden die Folge ist. Es wird das „Hammer-für‑Schrauben“ – Problem angeführt, denn Forschungsfragen werden daraufhin selektiert, ob es Methoden zu ihrer Beantwortung gibt, womit die Methoden bestimmen, was gefragt werden darf und Neugierde und thematische Offenheit durch technische Machbarkeit ersetzt und der Katalog zulässiger Fragen künstlich und letztlich dogmatisch reduziert wird. Dieser Art von Kampf um die richtige Methode stellte Herr Prof. Dr. Buchholz die notwendige Berücksichtigung eines pragmatischen Pluralismus entgegen. Die Anerkennung von und Engagement für Diversität und Vielfalt stellt eine Notwendigkeit dar, Selbstreflexivität, im Kontext eines methodischen Pluralismus, muss von den Vertretern der Forschungsrichtungen gegeben sein, damit diese ihre philosophischen Vorannahmen und deren Implikationen kennen und reflektieren können. Außerdem muss unsere Entscheidung für die Arbeit mit einem Paradigma abhängig vom Gegenstand sein und der Fragestellung sein.
Methoden werden als selbstverständlich angenommen, statt als abhängig von axiomatisch gesetzten philosophischen Voraussetzungen, sodass eine unkritische Anwendung und unhinterfragte Generalisierung der eigenen Methoden die Folge ist.
Die Vorstellung der Konversationsanalyse leitete Herr Prof. Dr. Buchholz mit den Eigenschaften menschlicher Interaktion ein. Beispielsweise werden stets Intentionen attribuiert, es findet sogenanntes „mind reading“ statt, zudem das „turn taking“, als die Art und Weise der Redeübergabe als beobachtbare Praxis des Sprechens. Es lassen sich eine Fülle von impliziten Regeln eines hochfragilen Gebildes sozialer Interaktion und deren Störbarkeit aufzeigen, von denen man sich durch den experimentellen Verstoß gegen solche Regeln schnell überzeugen kann – einige Sekunden nicht auf eine Frage zu antworten, würde bereits mit Bedeutung belegt, in der Regel mit der Bedeutung, daß etwas nicht in Ordnung sei und thematisiert werden müsse, z.B. insbesondere ging Herr Prof. Dr. Buchholz auf die Griceschen Konversationsmaximen ein. Dabei handelt es sich nicht um Gesetzmäßigkeiten, nach denen die Praxis der Konversation tatsächlich stattfindet – faktisch sind Verstöße dagegen die Regel –, sondern um Maximen, von denen Grice annahm, daß sie in Konversationen seitens der Beteiligten einander unterstellt werden und deren Verletzung die Suche nach Bedeutung oder Reparaturbemühungen auslösen. Insbesondere nimmt Grice an, daß in Konversationen das Prinzip der Kooperation unterstellt wird – „Gestalte deinen Gesprächsbeitrag so, dass er dem anerkannten Zweck dient, den du gerade zusammen mit deinen Kommunikationspartnern verfolgst.“, könnte man dies formulieren.
Dem arbeiten vier Maximen zu, die Maxime der Quantität, Qualität, Relevanz und Modalität, die sich zusammenfassen lassen unter das Gebot: „Sage nur, was informativ, wahr und wichtig ist und sage dies klar und deutlich!“ Die Gesprächspraxis weicht in vielen Fällen davon ab, Humor basiert oft genau auf diesen Abweichungen, aber entscheident ist, daß die Abweichungen als solche registriert werden und darin die Plausibilität der Annahme liegt, daß man einander solche Maximen implizit in Gesprächen unterstellt. In diesem Teil des Seminars wurden viele Themen angerissen, die Neugierde wecken und zur weiteren Beschäftigung anregen, deren Reichhaltigkeit hier aber unmöglich gewürdigt werden kann.
Letztlich gelangten wir zur Anwendung der Konversationsanalyse im Rahmen psychoanalytischer Prozessbeschreibung, wofür Herr Prof. Dr. Buchholz uns zunächst ein Transkript eines psychoanalytischen Erstgespräches vorlegte und dazu unsere Einfälle und Anmerkungen sammelte. Dieses Erstgespräch rahmte die anschließenden Ausführungen zur Konversationsanalyse ein, indem wir dasselbe Gespräch im Nachhinein abermals nach den Codierregeln der Konversationsanalyse
transkribiert sahen, um den Mehrwert dieser Art von Transkription vor dem Hintergrund der theoretischen Ausführungen greifbar erfahren zu können. Herr Prof. Dr. Buchholz ging besonders auf den Aspekt der Sequenzierung von Gesprächen ein, also die Analyseebene zeitlicher und rhythmischer Anordnung des Gesprochenen. Die Sichtbarmachung dessen, wann und wie die Rede übergeben oder übernommen wird, machte denn auch beim zweiten Blick auf das Erstinterview deutlich, dass sich eine Art von Autoritätskampf in diesem Gespräch erkennen lässt, der in normaler Transkriptionsweise nicht sichtbar wurde. Herr Prof. Dr. Buchholz führte aus, daß man mittels der Konversationsanalyse insbesondere gut zeigen könne, dass Gefühle im Gespräch gemacht werden, wodurch sich z.B. die Entstehung von Gegenübertragung im therapeutischen Prozess nachvollziehbar machen und damit einer gewissen mystischen Sphäre zwischen Gedankenübertragung und Willkürunterstellungen entziehen und in den Bereich des Manifestierbaren überführen lassen.
Dieser Vorher-Nachher-Vergleich war ein überzeugendes Beispiel für den Mehrwert der konversationsanalytischen Herangehensweise an therapeutische Interaktionen, wie wir auch insgesamt einem gelehrten und lehrreichen Vortrag in mühelos freier und eloquenter Rede beiwohnen durften, für den wir uns an dieser Stelle bei Herrn Prof. Dr. Buchholz recht herzlich bedanken möchten!